Konziliarismus

Konziliarismus
Kon|zi|li|a|rịs|mus 〈m.; -; unz.〉 kirchenrechtl. Auffassung, dass das Konzil dem Papst übergeordnet sein müsse

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I
Konziliarismus
 
Das durch Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Papst Bonifatius VIII. zu Beginn des 14. Jahrhunderts heraufbeschworene Schisma warf für lange Zeit die Frage nach der Einheit und der inneren Reform der Kirche auf. Schon früh begann die Diskussion darüber, in welchem Maße weltliche Herrscher und allgemeine Konzilien (Kirchenversammlungen) bei dem offensichtlichen Versagen des Papsttums zur Reform der Kirche aufgerufen seien.
 
Im 15. Jahrhundert kam es zu zwei großen Konzilien, die diese Fragen zu lösen versuchten. Das Konzil von Konstanz (1414-18), das von dem schwachen Papst Johannes XXIII. einberufen worden war, stand weitgehend unter dem Einfluss des deutschen Königs Sigismund (1368-1437, König seit 1410/11), des »Verteidigers der Kirche«. Auf diesem Konzil wurden die Lehren von Wycliffe und Hus verdammt; Jan Hus wurde 1415 während des Konzils als Ketzer verbrannt. Die große Leistung des Konzils von Konstanz war die Beendigung des Schismas: Zwei Päpste wurden abgesetzt, ein dritter sprach seinen Verzicht selbst aus. 1417 wurde Oddo Colonna als Martin V. gewählt.
 
In Fragen der inneren Reform der Kirche war das Konstanzer Konzil jedoch weniger erfolgreich. Charakteristisch war, dass man auf dem Konzil nach »Nationen« (französische, englische, deutsche, italienische, später auch spanische) abstimmte. Die Frage der Reformen sollte in Verhandlungen mit den einzelnen Fürsten durch Konkordate geklärt werden, so etwa in der Pragmatischen Sanktion von 1438, in der Frankreich seine nationalkirchliche Eigenständigkeit, den Gallikanismus, wahrte, und im Wiener Konkordat von 1448.
 
Martin V. gelang es, die Stellung des Papsttums wieder zu stärken. Auf dem Konzil von Basel (1431-49) entbrannte nun vor allem der innerkirchliche Streit. Die in der Zeit des Schismas vordringliche Frage nach der Überordnung des Konzils wurde neu aufgerollt, nachdem der Nachfolger Martins, Eugen IV., schon 1431 das Konzil für aufgelöst erklärt hatte. Basel nahm diese Auflösung aber nicht an. Im Verlauf der Verhandlungen über die Frage der Union mit der Ostkirche wurde Eugen vom Konzil für abgesetzt erklärt, und es kam zum letzten Mal zur Einsetzung eines Gegenpapstes (Felix V.). Der deutsche Kirchenrechtler und spätere Kardinal Nikolaus von Kues (1401-64), der zunächst die Ziele des Konzils unterstützt hatte, trat mit den Gemäßigten auf die Seite Eugens über.
 
Durch die Einigung mit Frankreich und dem deutschen König Friedrich III. (1415-93, König 1440, Kaiser 1452) gewann der Papst die Oberhand, und das Konzil endete 1449. Zu einer Neubelebung der Konzilsidee kam es im Verlauf der Reformation, als sich Kaiser Karl V. von einem Konzil die Einigung mit den Protestanten und Reformern der Kirche erhoffte. Das dann von der katholischen Kirche einberufene Konzil von Trient brachte auch Reformen zustande, die aber bereits unter dem Zeichen der Gegenreformation standen.
II
Konziliarịsmus
 
der, -, die Auffassung, dass ein allgemeines (ökumenisches) Konzil die höchste Instanz in der (katholischen) Kirche und damit auch dem Papst übergeordnet sei. In der Diskussion um den Konziliarismus wurden unterschiedliche Positionen vertreten, die von einer Anerkennung des Konziliarismus als legitimen Mittels zur Beseitigung eines Schismas oder, um aus zwingenden Gründen (z. B. wegen Geistesgestörtheit) einen Papst zu ersetzen, bis zur grundsätzlichen Kritik an einer hierarchisch-papalistisch ausgerichteten Kirchenstruktur reichen. Eine der Voraussetzungen des Konziliarismus war die von Kanonisten des 12. und 13. Jahrhunderts vertretene Auffassung, dass im Falle eines persönlichen Irrtums des Papstes das Konzil der maßgebliche Repräsentant der Kirche sei. Zu einer vertieften Diskussion darüber kam es seit dem Abendländischen Schisma (1378). In mehreren Schriften entwickelten u. a. Heinrich von Langestein und Konrad von Gelnhausen im Rückgriff auf die Ekklesiologie des Marsilius von Padua und Wilhelm von Ockham eine konziliare Theorie. Seinen Höhepunkt erlebte der Konziliarismus auf den Konzilen von Konstanz (vertreten v. a. von J. de Gerson und Peter von Ailly) und Basel, wo der Konziliarismus formell dekretiert wurde. Für das Basler Konzil verfasste Nikolaus von Kues seine »Concordantia Catholica«, in der er feststellte, dass zum Schaden der Kirche die Macht der Konzile zu lange geruht habe. Obwohl dem Konziliarismus schon von Papst Martin V. durch das Verbot der Konzilsappellation eine Absage erteilt wurde und Eugen IV. die Basler Entscheidung ausdrücklich verurteilte, hielten sich konziliaristische Tendenzen im Episkopalismus und Gallikanismus wie auch später noch im Josephinismus und Febronianismus. Das 1. Vatikanische Konzil dogmatisierte dagegen die Lehre, dass der Papst allein oberster Hirte der Gesamtkirche und ohne ihn ein ökumenisches Konzil nicht möglich sei, während das 2. Vatikanische Konzil auf Anliegen des Konziliarismus zurückgriff, indem es unter Wahrung der kirchenrechtlichen Stellung des Papstes die Rolle des Bischofskollegiums bei der Leitung der Gesamtkirche herausstellte und mit der kirchenrechtlichen Verankerung der Bischofskonferenzen und der Schaffung der Bischofssynode institutionalisierte.
 
 
Die Entwicklung des K. Werden u. Nachwirken der konziliaren Idee, hg. v. R. Bäumer (1976);
 H. Schneider: Der K. als Problem der neueren kath. Theologie (1976);
 W. Krämer: Konsens u. Rezeption. Verfassungsprinzipien der Kirche im Basler K. (1980);
 
Die Bischofskonferenz, hg. v. Hubert Müller u. a. (1989);
 H. J. Sieben: Vom Apostelkonzil zum Ersten Vatikanum. Studien zur Gesch. der Konzilsidee (1996).

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Kon|zi|li|a|rịs|mus, der; - (kath. Kirche): Auffassung, nach der das ↑Konzil (1) als höchste Instanz dem Papst übergeordnet sein solle.

Universal-Lexikon. 2012.

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